eingereicht durch CPTI, eine NRO mit besonderem konsultativem Status
MENSCHENRECHTSKOMISSION
62. Sitzung, 2006 Punkt 11 (g) der provisorischen Agenda
Bürgerrechte und politische Rechte, inklusive Fragen zu Militärsteuerverweigerung
Die Menschenrechtskomission kommt große Verdienste zu was die Anerkennung der Rechte von Militärdienstverweigerer betrifft. Es wäre nur konsequent, wenn sie diese Anerkennung jetzt auf die MilitärsteuerverweigererInnen ausdehnen würde.
Zwischen direktem, physischem Militärdienst und indirektem, finanziellem Militärdienst gab es in der ganzen Geschichte bis auf heute einen engen Zusammenhang. Man kann sagen, dass das Steuersystem des modernen nationalen Staates seinen Ursprung fand in der Erkennung der desaströsen wirtschaftlichen Konsequenzen des allgemeinen körperlichen Militärdienstes in der feudalen Tradition. Oft fing die Besteuerung damit an, dass die produktivsten Gruppen der Gesellschaft einen Ersatz durch Lieferungen und Geld anstelle Militärdienst zahlen durften. Dies entwickelte sich schnell zu einer indirekten Unterstützung mittels equivalenter finanzieller Beiträge an den Staat, was in Freistellung des wohlhabenderen Teils der Gesellschaft mündete, während die Ärmeren weiterhin den Militärdienst leisteten.
Eine von Conscience and Peace Tax International/CPTI durchgeführte Studie, die im Frühling 2006 unter dem Titel: Eine globale Umfrage zum Thema Rekrutierung und Militärdienstverweigerung
* erscheinen wird, macht deutlich, dass eine überraschend hohe Zahl von Staaten weiterhin finanzielle Beiträge anstatt Militärdienst akzeptiert. In Kolumbien, Ecuador, Bolivien und der Schweiz sind alle oder die meisten derjenigen, die keinen Militärdienst leisten müssen aus welchen Gründen auch immer – und auch diejenige, die wohl bereit, aber physisch unfähig sind -, aufgefordert, eine spezielle Militärsteuer zu zahlen. In anderen Ländern gibt es gesetzliche Regelungen, nach der Freistellung (Albanien, Georgien, Mongolei) oder Verkürzung des Militärdienstes auf eine kurze Übungsperiode (Iran, Usbekistan) erkauft werden kann. Manchmal gilt diese Option nur für Bürger im Ausland als eine Alternative zur Verfolgung als Drückeberger
, die nach Rückkehr in die Heimat drohen würde (Syrien, Türkei); dies wurde auch kürzlich in Serbien-Montenegro vorgeschlagen.
Dies ist nur einer von vielen Gründen, warum es selten vorkommt, dass mehr als ein ganz kleiner Teil von allen nominal Betroffenen der Wehrpflicht auch tatsächlich nachkommt. In der Russischen Föderation nennt das Verteidigungsministerium selber die Zahl von nicht mehr als 9,5%; ein extremes Beispiel, aber keineswegs das einzige. Was geschieht mit den anderen? Je nach Land kann es sein, dass die Wehrpflichtigen erst gar nicht einberufen werden; dass sie Glück haben bei der Auslosung; dass sie die Einberufung zum Militärdienst ignorieren – was sie am sichersten durch einen Auslandsaufenthalt bewerkstelligen; oder sie werden ausgemustert oder freigestellt aus einem der vielen möglichen Gründe. Unverhohlene Korruption – Bestechung des Rekrutierungsoffiziers, Kauf eines gefälschten medizinischen Attestes – und der generell größere Zugang zu Berufungs- und Freistellungsprozessen derjenigen mit Geld, Bildung und Einfluss bewirken gemeinsam auch dort, wo es keine formelle Regelung für das Freikaufen
gibt, dass in der Regel nur die Armen, die schlecht Gebildeten und die Menschen aus weniger entwickelten Regionen oder aus gesellschaftlichen Randgruppen übrig bleiben, um den überwiegenden Teil der Wehrpflichtigen zu stellen.
Tatsache ist, dass das ganze System der Wehrpflicht rückläufig ist.** Dieser Prozess wird oft vom militärischen Establishment selbst vorangetrieben, das die Beschäftigung einer großen Zahl von schlecht motivierten oder sogar unwilligen Wehrdienstleistenden für unangemessen hält angesichts der Erfordernisse des 21. Jahrhunderts. Zwar brauchen gut ausgestatte, hoch trainierte, professionelle
Armeen weniger ungeschultes Kanonenfutter, aber sie benötigen Geld; und dieses Geld kommt von der steuerzahlenden Bürgerschaft. Kriegsdienst mit der Waffe wird durch Kriegsdienst mit der Steuer ersetzt.
Auch wenn die Zeit der physischen Wehrpflicht zu Ende geht, so bleiben doch die moralischen und ethischen Argumente für Kriegsdienstverweigerung gültig. Mag sein, dass die Komplexität moderner Wirtschaftssysteme manchmal den Durchblick erschwert, dennoch bleibt ein direkter Zusammenhang bestehen zwischen den Steuern, welche der Staat von seinen BürgerInnen einnimmt, und deren Ausgabe für Rüstung und militaristische Aktivitäten. Viele BürgerInnen können die Beschaffung finanzieller Mittel, damit andere Menschen sich in ihrem Namen auf die Anwendung tödlicher Gewalt vorbereiten können, nicht vor ihrem Gewissen vertreten – sei es aus religiösen Glaubensgrundsätzen, sei es aus tiefgehenden moralischen oder ethischen Grundsätzen .
Deshalb fordert CPTI diese Kommission auf
- anzuerkennen, dass Kriegsdienst mit der Steuer eine genau so bindende und legitime Manifestation der Freiheit von Gedanken, Gewissen und Religion ist wie der Kriegsdienst mit der Waffe
- in seine Resolution zu diesem Thema eine Empfehlung aufzunehmen, wodurch Staaten ermutigt werden, die Militärsteuerverweigerung zu berücksichtigen.
- vorzuschlagen, dass Staaten den MilitärsteuerverweigererInnen eine Möglichkeit eröffnen, durch welche sie ihre direkten Steuern ausschließlich für solche Zwecke zahlen, die mit der Natur ihrer Verweigerung übereinstimmen - und zwar analog zur Möglichkeit für Kriegsdienstverweiger einen Ersatzdienst zu leisten, der mit der Natur ihrer Verweigerung übereinstimmt.
- *) Diese Studie wurde durch eine Spende des Joseph Rowntree Charitable Trust ermöglicht.
- **) Seit 1963 haben folgende Länder die Wehrpflicht abgeschafft: Argentinien, Australien, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Tschechische Republik, Frankreich, Honduras, Ungarn, Italien, Jordanien, Kuwait, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Nicaragua, Peru, Portugal, Slowenien, Südafrika, Spanien, Großbritannien, USA.
Es wird erwartet, dass 2007 dazu kommen: Lettland, Rumänien und Slowakei.
Andere, darunter Chile, El Salvador, Guatemala und Marokko, halten die Wehrpflicht gesetzlich formell aufrecht, geben aber an, dass der Bedarf an Rekruten für die Armee intentional oder praktisch in absehbarer Zeit durch Freiwillige gedeckt werden wird. Verkürzungen der Wehrpflichtzeit haben schon stattgefunden oder werden gerade diskutiert, oder beides – oft als erster Schritt in Richtung einerProfessionalisierung
der Armee – in Albanien, Österreich, Bulgarien, Kroatien, Finnland, Georgien, Deutschland, Griechenland, Iran, Mongolei, Norwegen, Polen, Rumänien, Russische Föderation, Serbien-Montenegro, Schweiz, Mazedonien, Ukraine, Usbekistan und Venezuela.