Frieder Otto Wolf

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‚Friedenssteuer’ als eine direkte Aktion der Befreiung:

Wie weit reicht meine Verantwortung und wofür muss ich Verantwortung übernehmen?

Ich begrüße nachhaltig und ausdrücklich den wichtigen Beitrag der Befreiungstheologie zu dieser Debatte. Frau Fink hat mir einmal wieder deutlich gemacht, wie stark diese Tradition ist. Leider gibt es bisher noch keine entsprechend deutlich artikulierte Tradition eines ‚Befreiungshumanismus’ – wie er doch heute dringend nötig ist. In dieser Richtung will ich arbeiten.

1. Verantwortlich für sein eigenes Leben

Ich beginne heute mit einem Zitat, das in einer gewissen – vielleicht für manchen hier befremdlichen – Weise eine gegenwärtige Zeitsignatur markiert:

„Es ist leichter, sich welterlösenden Ideen hinzugeben, als sich für sein eigenes Leben verantwortlich zu zeigen.“

Imre Kertész (Dossier K)

Mir geht es hier nicht darum, was Imre Kertész uns damit mitteilen will, sondern darum was wir aus dieser zugespitzten Äußerung lernen können, wenn wir genauer hinsehen:

Erstens nämlich, dass „welterlösende Ideen“ für unser Thema ‚zum Glück’ doch wohl etwas zu hoch greifen. Und wir sollten uns das gerne und bereitwillig zu eigen machen: Wer etwa die Welt der Menschen von künftigen Kriegen befreien will, sollte diese Vorhaben nicht gleich zu einer ‚Erlösung der ganzen Welt’ hochstilisieren – es ist ein notwendiges Moment jeder Befreiung, ohne Frieden gibt es für uns Menschen kein gutes Leben.

Zweitens können wir uns mit Kertész daran erinnern, dass es in unserem Handeln in aller Regel nicht um Hingabe geht, sondern darum, Ziele zu erreichen. Sich Hingeben ist schön und sicherlich auch gut, aber hier geht es nicht ‚ums Ganze’, sondern um eine rational ausweisbare spezifische Aktion.

Und, drittens, dass es immer zunächst einmal darum geht, „sich für sein eigenes Leben verantwortlich zu zeigen“ – gerade auch dabei, sich gemeinsam mit anderen dafür einzusetzen, dass die Voraussetzungen eines menschlichen Lebens erhalten bleiben, erneuert oder auch allererst geschaffen werden.

Wenn wir aber ganz genau hinsehen, dann macht Kertész’ Wort uns auch deutlich, dass damit, wie es gesagt ist, zugleich zu viel und zu wenig gesagt ist:

Zu viel, weil niemand Verantwortung dafür übernehmen kann, überhaupt zu leben – außer in dem makabren Sinne, sich nicht selbst getötet zu haben.

Zu wenig, weil es ganz unzureichend wäre, die Verantwortung etwa auf das eigene Privatleben oder auf die eigenen unmittelbaren aktiven Handlungen zu beschränken – spätestens die Frage nach den darin angelegten Unterlassungen hinsichtlich öffentlicher Vorgänge, der Handlungen anderer oder auch der Handlungszusammenhänge, in denen wir stehen, würde einen derartigen Rückzug auf eine solche (von der demokratischen Antike mit recht als ‚idiotisch’ gekennzeichnete) Haltung triftig in ihrer Unhaltbarkeit durchschaubar machen können.

2. Aber was heißt denn überhaupt Verantwortung?

Für was wird in der Form der ‚Friedenssteuer’ Verantwortung übernommen?

Wer kann für was gegenüber wem Verantwortung übernehmen – und wer muss dies, wer ist dazu verpflichtet oder wird dazu gezwungen?

Ich denke, Verantwortung ist erst einmal ein spezifisches Verhältnis zwischen Rechtssubjekten und ihren Handlungen bzw. Unterlassungen gegenüber dem Urteil aller betroffenen Menschen.

Wie Frau Fink schon ausgeführt hat besteht Verantwortung in einer dreistellige Relation des Einstehens von jemandem für etwas vor einer Instanz.

Rein rechtlich betrachtet, geht es dann um Schadenersatz oder um eine Korrektur bzw. eine Richtigstellung, in bestimmten Fällen um so etwas Schwieriges wie ‚Wiedergutmachung’. Dabei ist immer vorausgesetzt, dass ich rechtlich über etwas Eigenes verfüge, das ich einsetzen kann, um meine Verantwortlichkeit auch ganz praktisch werden zu lassen – durch eine entsprechende Leistung aus meinem Eigenen. Dieses Eigene ist nicht in erster Linie als ein Besitz oder ein Eigentum zu denken, sondern als eine Fähigkeit zu einer Leistung, die andere (und/oder ich selber) mir zuschreiben.

Ist das aber auch politisch und moralisch nach dem gleichen Muster zu denken?

Hier stoßen wir auf ein ganz zentrales Problem menschlichen Handelns: Was geht uns die Forderung nach der Übernahme von Verantwortung als handlungsfähige Subjekte an, die wir uns nicht auf bloße Rechtssubjekte mit ihrem Eigenen reduzieren lassen, sondern etwa auch Handlungsträger in menschlichen Netzwerken oder Kollektiven sind – auf der Grundlage freier Kooperation oder auf der Grundlage einer historisch konstituierten Zwangsmitgliedschaft?

Hören wir an dieser Stelle auf unsere Sprache (nicht allein auf die deutsche, sondern die des ‚Average Middle European’, die in diesen Fragen weitgehend übereinstimmt)!

In der Verwaltung gibt es die Ressortverantwortung, die ‚Zuständigkeiten’ einzelner Instanzen oder AmtsträgerInnen – und die Gesamtverantwortung der Staatsführung. Beides führt darüber hinaus, mit dem ‚Eigenen’ einzustehen. Es geht um das ‚Anvertraute’, für das im Auftrag anderer Verantwortung übernommen worden ist.

An dieser Stelle wird eine aus der Theologie in das moderne Staatsrecht übertragene Unterscheidung bedeutungsvoll: So wie die Theologen der Scholastik zwischen der ‚ordentlichen’ und der ‚außerordentlichen’ Handlungsmacht Gottes unterschieden haben (um etwa den Unterschied zwischen dem Wirken der Schöpfungsordnung und Wundern definieren zu können), haben die Theoretiker des modernen Staates seit Jean Bodin unterschieden zwischen dem ‚normalen’ Wirken der Staatsgewalt, das durch Gesetze, Justiz und Verwaltungsinstanzen vielfältig vermittelt und reguliert ist, und dem ‚Ausnahmezustand’ eines direkten, alle diese Vermittlung überspringenden Eingreifen einer ‚obersten Staatsgewalt’ angesichts von Krisen, welche die Existenz des Staates bedrohen.

Uns muss an dieser Stelle die Frage interessieren, wie ist es dann mit den letztlichen ‚Auftraggebern’ dieser Staatsgewalt in demokratischen Gemeinwesen steht, was sich aus diesen Bestimmungen für die Verantwortung ergibt, die wir als Bürgerinnen und Bürger eines Staates oder eines Staatenverbundes zu übernehmen aufgerufen sind.

Klar ist wohl, dass wir uns in keinem Fall auf unsere Unzuständigkeit berufen können. Unabweisbar ist offenbar auch, dass wir immer noch mehr zu verantworten als eine derartige ‚Gesamtverantwortung’ im Normalzustand der Staatsgeschäfte. Auch wir sind dazu aufgerufen, angesichts von Krisen, welche das Leben der Menschen gefährden, deren Gemeinwohl zu wahren den Kern jedes demokratischen Staatsauftrags ausmacht, direkt, unvermittelt und letztlich auch ungeregelt einzugreifen, so gut wir es können.

Ich schlage vor, dass wir unsere Position als explizite ‚Auftraggeber’ in demokratischen Staaten (und als vorausgesetzte Nichtwiderstehende – und damit Mitverantwortliche – in allen anderen politischen Gemeinwesen) unter der Kategorie des ‚gemeinsamen Eigenen’ denken. Dies macht es zum einen möglich, unsere Verantwortung weiterhin auf das Eigene als vorausgesetzte Ressource zu beziehen,[1] ohne dieses Eigene etwa willkürlich etwa auf das ‚Privateigentum’ zu beschränken. Zum anderen ermöglicht sie es, auch unsere außerordentliche Verantwortung in Krisensituationen an die konkreten Verhältnisse zurück zu binden, in denen wir gesellschaftlich oder ökologisch leben.

Dieses ‚gemeinsame Eigene’ wurzelt in gemeinsamer Praxis, nicht in verselbständigten Identitäten oder Rechtstiteln. Nicht als Staatsbürger (oder als ‚Volksgenossen’) haben wir die Pflicht, als Auftraggeber letzter Instanz dafür Sorge zu tragen, dass ein wahrhaft menschliches Leben in unseren Gemeinwesen möglich ist. Das kann sich in ‚normalen’ Situationen einer friedlichen demokratischen Selbstverwaltung[2] aus so etwas wie eine kritische Kontrolle und Aufsicht beschränken. In Krisensituationen erlegt es uns dagegen die Pflicht auf, selber Formen zu finden, wie wir ganz direkt und unmittelbar krisenabwehrend tätig werden können.

Eine derartige Verantwortung müssen wir ganz generell unabweislich auch als bloße Zeitgenossen eines historischen Prozesses übernehmen, die in einer bestimmten historischen Lage die sie nicht selbst geschaffen haben, dazu verpflichtet sind, handlungsfähig zu werden. Die Ausrede der Unzuständigkeit hat keine argumentative Kraft und die Besinnung auf die Grenzen der eigenen Handlungsmacht verpflichtet nur dazu, die begrenzten Kräfte, über die wir verfügen, optimal einzusetzen und durch Netzwerke der Solidarität zu verstärken.

Erst recht gilt dies in Situationen großer historischer Krisen.

In der gegenwärtigen historischen Situation seit dem Ende der 1990er Jahre werden Kriege und Kriegführung zunehmend wieder als Instrument der Politik propagiert und sie werden an den Rändern von Staats- und Rechtsordnungen endemisch. Seit dem September 2001 herrscht weltweit ein erklärter, aber nicht näher bestimmter Kriegszustand in Gestalt des ‚Kriegs gegen den Terrorismus’. Damit ist ein historischer Ausnahmezustand erreicht, in dem direkte Aktionen von Bürgerinnen und Bürgern gegen diesen Kriegszustand zur Pflicht werden. Die Aktionsform der ‚Friedenssteuer’ bietet eine konkrete Möglichkeit dazu, dieser politisch-moralischen Verpflichtung Genüge zu tun.

3. Auseinandersetzung mit Gegenargumenten:

Die Verantwortungslosigkeit der ‚Corporate Social Responsibility’ ist kein tragfähiges Gegenmodell

Wer heute mit einer Suchmaschine im World-wide Web nach in der diesem Medium gemäßen Sprache nach ‚Verantwortung’ sucht, d.h. nach ‚responsibility’, wird sofort mit einer Vielzahl von Beispielen für eine Signatur unserer Zeit überschüttet: Unter dem Stichwort ‚Corporate Social Responsibility’ – also der „sozialen Verantwortung von als ‚Gesellschaften’ verfassten Unternehmen“ – wird zweierlei praktiziert: Erstens wird, ganz offensiv und ausdrücklich, eine Berichterstattung über das Gute vorgelegt, das das jeweilige Unternehmen tut und bewirkt, gegenüber der eigenen Belegschaft, gegenüber der Weltgesellschaft und gegenüber der Umwelt; zweitens wird aber zugleich, stillschweigend und gleichsam zwischen den Zeilen, die Auffassung propagiert, dass die Verantwortung dieser Unternehmen eng begrenzt ist: Zum einen erstreckt sie sich gar nicht erst auf die dem unverantwortlichen und falschen Handeln anderer zuzurechnenden indirekten und Folgewirkungen – also etwa auf das unmäßige Rauchen oder auf die Kriegführung mit gelieferten Waffen – zum anderen ist sie selbst innerhalb des grundsätzlich zugestandenen eigenen Verantwortungsbereichs des Unternehmens ganz streng genommen auf die ‚Spielräume’ beschränkt, welche die Sachzwänge der globalen Konkurrenz ihm jeweils lassen. Denn auch für Unternehmen muss der Grundsatz in Anspruch genommen werden, der generell gilt, rechtlich ebenso wie politisch oder moralisch: ‚de impossibilibus nemo obligatur’, niemand kann dazu verpflichtet werden, etwas Unmögliches zu tun.

Diese, eher verdeckte Seite des Konzeptes der ‚Corporate Social Responsibility’ scheint sich hervorragend dazu zu eignen, die behauptete Verantwortung für den Frieden zurückzuweisen – und damit dem Gedanken einer Verpflichtung zur Friedenssteuer und sogar noch der Behauptung ihrer moralisch-politischen Erlaubtheit die Grundlage zu entziehen.

Das scheint jedoch nur so. Denn diese Seite des Konzeptes der ‚Corporate Social Responsibility’ beruht auf einer argumentativen Erschleichung. Diese Erschleichung besteht in der durch Nichts weiter begründete Voraussetzung, dass die Verhältnisse, aus denen in diesen Argumentationen die Nichtzuständigkeit und damit die Verantwortungsfreiheit des Unternehmens begründet werden, erstens als solche richtig erfasst und zweitens durch keinerlei menschliches Handeln dergestalt zu verändern seien, dass derartige ‚Verantwortungslücken’ vermieden werden können. Auch ohne gleich mit der radikalen Frage zu kommen, ob es denn keine Alternative zur Form des durch Kauf und Verkauf vermittelten Warenaustauschs bzw. zur kapitalistischen Konkurrenz privater Unternehmungen gibt – was jedenfalls grundsätzlich nicht ernsthaft bestritten werden kann, ist jedenfalls auch unter der Voraussetzung derartiger ökonomischer Grundverhältnisse offensichtlich ganz klar, dass sich weder die Ausgestaltung des Produkthaftungsrechts, noch die Weiterentwicklung der auf fast allen Märkten geltenden ‚global business regulation’ mit dem Verweis auf derartig vereinfachte ‚Selbstverständlichkeiten’ bestreiten lässt: So hat sich längst etwa im Hinblick auf das krebserregende Rauchen eine Produkthaftung der Zigarettenindustrie entwickelt, die sich nicht mehr darauf herausreden kann, dass es die Raucherinnen und Raucher selber sind, die sich ihre Zigaretten anzünden; oder nur noch in den völlig unregulierten kriminellen Bereichen des Handels gilt, das alles, was die Konkurrenz tut, allein dadurch schon einen unabweisbaren Zwang auf die Konkurrenten ausübt.

Anstatt sich derart für unzuständig erklären, müssten Unternehmen, die ein wirklich Ernst zu nehmendes Konzept von ‚Corporate Social Responsibility’ vertreten würden, überall dort, wo sie an derartigen Grenzen ihrer primären und unmittelbaren Verantwortlichkeit stoßen, ihre Verantwortung dafür unternehmen, eben diese Bedingungen im Haftungsrecht oder in der bereits entwickelten ‚global business regulation’ auf eine Weise zu verändern, dass ihnen selber ein weniger begrenzt verantwortliches Handeln möglich gemacht wird.

Unbestreitbar ist wohl, dass Unternehmen als juristische Subjekte mit einem beschränkten Auftrag und oft auch beschränkter Haftung sich als solche nicht den außerordentlichen Verpflichtungen zu direkter Aktion unterworfen sehen, die für uns als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder auch schlicht als Menschen gelten. Aber das gilt selbstverständlich nicht für die Personen, die in ihnen ‚Verantwortung tragen’, die sich daher immer auch ihrer umfassenden Verantwortung stellen müssen.

In jüngerer Zeit ist eine ganz bemerkenswerte Verdrehung dieser Überlegung popularisiert worden: Im Rahmen der neoliberalen Strategie einer umfassenderen Deregulierung von Marktmechanismen ist unter dem Stichwort der ‚Eigenverantwortung’ die Auffassung propagiert worden, dass die Armen und die Arbeitslosen letztlich immer ‚selber schuld’ sind an ihrer Lage. Angesichts realer gesellschaftsstrukturell bedingter Trends zu einer galoppierenden Polarisierung von Beschäftigungs- und Einkommensverhältnissen ist dies offensichtlich absurd: Es verwandelt den oft nur winzigen oder auch personal gar nicht zurechenbaren ‚eigenen Anteil’ daran, dass dieser Trend eine bestimmte Person trifft, in eine vollständige Ursache für das bewirkte Ergebnis und ersetzt so vor allem die erforderliche Analyse komplexer und gestufter Wechselwirkungs- und Verantwortungsverhältnisse durch eine kurzschlüssige, nur aufgrund verbreiteter Vorurteile überhaupt plausibel zu machende Schuldvorwürfe, an die dann entsprechende ‚Sanktionen’, Anreize und Strafen, angeschlossen werden. Gegenüber derartigen Situationen faktisch eingeschränkter Handlungsfähigkeit hilft aber, wie eigentlich jedeR weiß, keine Androhung oder auch Ausübung eines solchen Handlungszwanges – sondern allein eine nachhaltige Verbesserung der Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen das Handeln erfolgen soll – also ein gezieltes ‚empowerment’, eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der jeweils zu konstituierenden und zu aktivierenden Subjekte.

Richtig ist aber, was von dieser neoliberalen Scheinargumentation nur missbraucht wird, um ‚Sanktionen’ gegen scheinbar ‚Unwillige’ zu legitimieren: Unsere Verantwortung reicht immer weiter als unsere Schuld.

Auch wo uns kein ‚schuldhaftes Versagen’ – als Handeln oder auch als Unterlassen – in unserem primären und unmittelbarem Verantwortungsbereich vorgeworfen werden kann‚ müssen wir uns unserer Verantwortung stellen. Die Ausrede des ‚Sachzwangs’ kann gegenüber Schulvorwürfen durchaus tragen, sie verhilft uns aber nicht dazu, unsere – entsprechend abgestufte – zumeist nur indirekte Verantwortung für die Voraussetzungen und Bedingungen unseres Handelns loswerden zu können.

Und in krisenhaften Situationen, in denen die Existenz gesamter menschlicher Lebenszusammenhänge in Gefahr ist, fordert uns diese Gefahr zum direkten und unvermittelten Handeln heraus, um unsere Verantwortung als Menschen wahrzunehmen.

In diesen Bereich gehört grundsätzlich die Aktionsform der ‚Friedenssteuer’, die angesichts außerordentlicher Krisenlagen den Übersprung von einzelnen Aktionen zur Umgestaltung der unser Handeln vermittelnden Voraussetzungen und Bedingungen zur direkten Aktion vollzieht.

4. Begrenzung oder Konkretisierung der Verantwortung?

Es ist wohl unabweisbar, dass es geradezu lähmend wäre, wenn alle immer gleich für alles unmittelbar verantwortlich wären, ohne besondere ‚Zuständigkeiten’ oder auch ‚Abstufungen’. Oder eine derartige Inflationierung von Verantwortung könnte auch dazu führen, eine bloß rhetorische Übernahme von Verantwortung zu fördern, aus der sich keinerlei praktische Konsequenzen ergeben. Denn wenn ‚Verantwortung übernehmen’ einfach nur bedeuten soll, ‚sich zu seinem Handeln bekennen’ (im Sinne eines ‚wir sind es gewesen, die ...’), dann hat es keinen spezifischen praktischen Sinn mehr.

Ein differenzierter Begriff der konkret zu übernehmenden Verantwortung lässt sich dadurch gewinnen, dass wir den Zusammenhang von Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten untersuchen. Das führt weiter als eine vorschnelle Fixierung auf Fragen der effektiven Handlungsmacht – denn nicht so sehr die unmittelbar verfügbaren Handlungsmöglichkeiten entschieden als solche bereits darüber, wer wofür die Verantwortung zu übernehmen hat, sondern vor allem die Möglichkeiten, entsprechende strategische Entscheidungen zu treffen. Daher können etwa Strategien der Aufklärung über gegenständliche Probleme wie über Probleme der subjektiven Handlungsmöglichkeit von Subjekten durchaus erreichen, dass sich das Feld ausweitet, für das Verantwortung auch ganz praktisch übernommen werden kann.

Nüchtern die eigenen Handlungsmöglichkeiten einzuschätzen, das heißt noch lange nicht, sich damit auch abzufinden. Vielmehr sind wir, genau genommen, immer dazu verpflichtet, für die Ausweitung unserer Handlungsbedingungen zu kämpfen, sowie an der Verbesserung unserer eigenen Handlungsfähigkeit zu arbeiten.

Das Konzept der Friedenssteuer steht in Kontext einer derartigen Strategie der Aufklärung: Durch exemplarisches Handeln in einer zugespitzt radikalen Form soll für andere ein nachvollziehbares Motiv geschaffen werden, sich das Ausmaß der objektiv bestehenden Friedensprobleme klarer zu machen und zugleich daran zu arbeiten, in welchem Bezugsrahmen eigene sinnvolle Aktionen gegen die gegenwärtige Krise des globalen Friedens entfaltet werden können.

Damit wird es möglich, Verantwortung zu konkretisieren, ohne sie zu reduzieren oder gar zu minimieren. Denn die wichtige Frage danach, wie weit unsere Verantwortung jeweils konkret reicht, wird auf diese Weise abgestufte strategische Antworten finden, welche eine realitätsbezogen sinnvolle Abstufung der Verantwortung vollziehen, ohne dass wir uns deswegen damit abfinden müssten, wie diese abgestuften Grenzen unserer Verantwortung jeweils konkret aussehen – und d.h. ohne eine Herauslösung aus unserer effektiven Gesamt-Verantwortlichkeit vorzunehmen.

Mit einer derartigen Strategie der Konkretisierung von Verantwortung – immer wieder unter der Frage „was kann ich tun bzw. was kann ich zusammen mit anderen tun?“ – können wir der prinzipiellen Grenzenlosigkeit unserer Verantwortung gerecht werden, ohne dadurch unsere jeweils nur begrenzte Handlungsmacht zu überfordern, aber ohne uns bequem im gegebenen Status quo einzurichten.

5. Radikale und unbegrenzte Verantwortung ohne ‚höhere Instanz’?

Der eher konservative Philosoph Hans Jonas hat, in erster Linie in Bezug auf die globale ökologische Krise‚ die seit den 1970er Jahren erkennbar die Lebensgrundlagen, die reale politische Ökologie der Menschheit, gefährdet, das ‚Prinzip Verantwortung’ begründet. Ein solches ‚Prinzip Verantwortung’ gilt – angesichts des Zerstörungspotenzials hochtechnologischer Kriege – ebenso gegenüber der trotz der Beendigung des Kalten Krieges, der faktisch ein Dritter Weltkrieg gewesen ist, auch wenn seine militärische Austragung zumindest in den Zentren der sich gegenüber stehenden Supermächte hat vermieden werden können, anhaltenden Kriegstendenz. Seitdem mit dem ‚Krieg gegen den Terrorismus’ von der einzig verbleibenden Supermacht ein weltweiter und lang anhaltender, zugleich auch unbeschränkter Krieg erklärt worden ist, stehen wir in einer weltweiten, akuten Friedenskrise. Dazu gehören auch die unauflöslich verknüpften Themen der Abrüstungsverweigerung der anerkannten Atommächte und der atomaren Proliferation auf immer neue und potenziell auch immer feindseligere regionale Großmächte. Die Bedrohung menschlichen Überlebens, wie sie das Wettrüstern im Kalten Krieg mit sich gebracht hat, hat zwar ihre Formen verändert. Sie ist dabei wohl auch weniger akut‚ geworden: Ich erinnere nur an die Kuba-Krise, von der rückblickend immer deutlicher wird, wie nahe sie unsere Welt an den Abgrund eines Atomkrieges gebracht hat. Aber sie ist keineswegs verschwunden und kann durchaus wieder anschwellen, gerade auch wenn wir es geschehen lassen, dass die Androhung und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen – ABC, nicht nur atomar, auch biologisch oder chemisch – zu einer Erscheinung des politischen Alltagsgeschäfts werden.

Hans Jonas hat sein ‚Prinzip Verantwortung’ letztlich auf den Gedanken der Achtung vor der Schöpfungsordnung und ihrem Schöpfer zurück bezogen. Auch für die Befreiungstheologie sind diese Gedanken zentral. Noch Albert Schweitzers Ethik der ‚Achtung vor dem Leben’ bezieht sich letztlich darauf zurück.

Das ist einem praktischen Humanismus auf atheistischer Grundlage, so sehr er auch den wirklichen Glauben, die ‚wahre Religion’ anderer achtet,[3] jedenfalls nicht möglich.

Allerdings muss er deswegen keineswegs auf derartige Prinzipien einer politisch-moralischen Haltung verzichten. Nach meiner Überzeugung muss er diese Prinzipien sogar noch viel ernster nehmen: Denn es kann ihm niemals ausreichen, was sentimentalen Varianten einer religiösen Glaubenshaltung[4] auszureichen scheint – nämlich eine derartige Haltung nur in foro interno einzunehmen, also nur still und stumm unmittelbar gegenüber dem Schöpfergott, etwa im Gebet. Ernsthaft eine politisch-moralische Haltung einzunehmen, bedeutet immer, entprechend und zwar möglichst wirksam zu handeln.

Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik wird zwar immer wieder in Anspruch genommen, um einem gewissen pragmatischen Opportunismus das Wort zu reden, der sich nur vornimmt, was auch unmittelbar machbar ist. Der eigentlichen Sache nach bedeutet er aber das gerade Gegenteil: Nur derjenige wird seiner politisch-moralischen Verantwortung gerecht, der – selbstverständlich ganz nüchtern und realistisch, denn realitätsuntüchtiges Wünschen hilft doch gar nichts – alles tut, was überhaupt möglich ist, um auch zu entsprechenden Handlungsergebnissen zu kommen. Diese geforderte Anstrengung schließt, um der Verantwortung für die Erreichung entsprechender Handlungsergebnisse gerecht zu werden, immer auch den Kampf um die Aneignung der erforderlichen Fähigkeiten und die Durchsetzung entsprechender Handlungsbedingungen mit ein.

Auch unter atheistischen Humanisten findet sich die Auffassung, es gäbe für sie einfach keine Instanz, vor der sie ihre Verantwortung zu übernehmen hätten. Gemäß dieser Auffassung müssten haltlose Verantwortungslosigkeit oder auch schrankenloser Machbarkeitswahn für Menschen gelten, welche ohne einen Gott auszukommen glaubten: nach dem Motto einer zynischen Nietzsche-Lektüre – ‚Gott ist tot, und alles ist erlaubt’ – oder nach dem Daniel-Düsentrieb-Motto ‚Dem Inschenör ist nix zu schwör’.

Dass das so nicht richtig ist, lehrt allein schon die wirkliche Erfahrung. Ein zynischer Nietzscheanismus oder die bekannte Einstellung Daniel Düsentriebs sind selbst unter ganz dezidierten Atheistinnen und Atheisten wenig verbreitet. Es lässt sich aber auch gut begreifen, warum dieses sich keineswegs so verhält, wie ein theozentrisches Weltbild uns glauben machen will: Denn, unter Rückgriff auf einen Grundgedanken Ludwig Feuerbachs, können wir klar machen, dass auch diejenigen die an Schöpfergott und Schöpfungsordnung glauben, immer dann, wenn sie damit etwas Bestimmtes denken wollen, unvermeidlich auf Vorstellungen der Menschheit zurückgreifen. Auch wenn für sie selber sich dahinter das Einwirken ihres Gottes und ihre eigene Kommunikation mit ihm vollziehen soll, gehen sie indem sie ihre verantwortliche Haltung artikulieren, in Gedanken Verhältnisse zu anderen Menschen ein. Und zwar nicht allein mit diesem und jener, sondern mit ihnen als Menschen, als Repräsentanten einer insgesamt, universal begriffenen Menschheit.

Dies können – allerdings ohne das entsprechende ‚Hintergrundgeschehen’ damit zu verknüpfen – Atheistinnen und Atheisten nicht weniger. Die Instanz vor der sie verantwortlich sind, werden immer die anderen Menschen als Menschen und damit letztlich die Menschheit sein. Diese Verantwortung vor den Anderen wird für sie zwar nicht mehr mit zusätzlichen Garantien versehen, ist deswegen aber als solche nicht weniger real – und hat deswegen aber auch keinen anderen Inhalt.

6. Militärsteuer oder Friedenssteuer

Im historischen Prozess, der von politischem Handeln getragen wird, muss immer jemand die Verantwortung übernehmen, damit wirksames Handeln möglich wird. Angesichts der gegenwärtigen tiefen Krisen der gesamten Menschheit ist es hohe Zeit dafür, dass dies nicht nur von den Seiten etablierter Macht und Herrschaft geschieht, welche letztlich verantwortlich zu machen sind für diese Krisen, sondern ‚von unten’ von Seiten der Kräfte der Befreiung, welche allein dazu in der Lage sein werden, nachhaltige Problemlösungen durchzusetzen.

Diese Kräfte einer ‚Politik von unten’ können diesen historischen Prozess einer ‚Dialektik’ von Begrenzung und Entgrenzung von Macht und Verantwortung unterwerfen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Militärausgaben im Steuerhaushalt der meisten Staaten sind wir alle dazu aufgerufen, mit der sanften Macht der Verweigerung bei uns selbst zu beginnen – mit dem Verweigern jeder Komplizität, mit dem konsequenten Nicht-Mittun, mit der Weigerung, weiterhin die benötigten Ressourcen für falsches, zerstörerisches Handeln zur Verfügung stellen.

Das Projekt der Friedenssteuer hat einen klaren Inhalt: Zeugnis abzulegen für die eigene Kriegsunwilligkeit – angesichts des weltweiten und grenzenlosen Kriegszustandes, wie er im erklärten ‚Krieg gegen den Terror’ nur besonders markant hervorgetreten ist. Aber auch klug zu sein: D.h. zusammen zu beraten, zusammen zu handeln, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen – und auch um ein wirkungsloses Märtyrertum nach Möglichkeit zu vermeiden!

Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Ihre Konferenz erfolgreich verläuft. Denn dies ist in unser aller Interesse.


  • [1] An dieser Stelle ist es nützlich, an den historischen Ursprung der Kategorie der Solidarität zu erinnern, die im französischen Recht der ‚juristischen Gesellschaften’lag und dort ursprünglich die Pflicht der Mitglieder einer derartigen Gesellschaft betraf, berechtigte Forderungen an diese ‚Gesellschaft’ gemeinsam oder auch stellvertretend für einander durch entsprechende Leistungen zu befriedigen. Mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert wurde dann diese juristische Kategorie in eine politische Forderung übersetzt, die dazu geeignet war, die vage gebliebene Forderung nach ‚Brüderlichkeit’ in den zentralen politischen Postulaten der Französischen Revolution zu konkretisieren – als Instrument, etwa in einem Streik, ebenso wie als Zielsetzung.
  • [2] Für die Prüfung des Vorliegens einer derartigen Normalität müssen wir allerdings immer selber die Verantwortung übernehmen.
  • [3] Sie zugleich aber auch kritisch von ‚falscher Religion’ unterscheiden muss, damit er sie ernsthaft achten kann.
  • [4] Die als solche in Verdacht stehen müssen, ‚falsche Religion’ zu sein – zu d